Das Ding (German Edition) by Jutta Ahrens

Das Ding (German Edition) by Jutta Ahrens

Autor:Jutta Ahrens [Ahrens, Jutta]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9781310351938
veröffentlicht: 2015-04-08T16:00:00+00:00


31

Jochen sah noch grauer im Gesicht aus als gewöhnlich. Er war überarbeitet, fand zu wenig Schlaf und hatte Schatten unter den Augen. Seit Susannes Tod war ihm das egal. Jeden Tag vermisste er sie mehr. Er erinnerte sich an Kleinigkeiten und wunderte sich, weshalb er sie nie zur Kenntnis genommen hatte, als Susanne noch lebte. Am liebsten hätte er angefangen zu trinken. Viele Männer in seiner Umgebung hielten Konflikte einfach nicht aus und griffen zur Flasche. Jochen war stolz darauf, dass er darauf verzichtete. Dafür schluckte er mehr Tabletten als sonst, aber das fiel ihm nicht auf.

Gegen Mittag gönnte er sich eine kleine Pause. Er stellte sich mit Schwester Erika bei dem schönen Wetter vor die Tür. Erika wollte eine rauchen, und Jochen leistete ihr Gesellschaft. Erika war ein hübsches Mädchen, er bemerkte das wohl, aber sie war zu jung. Seine Fantasien regte sie nicht an. Man hätte ihm nicht einmal zugetraut, dass er welche hatte. Jochen war in der Tat kein heißblütiger Mann. Deshalb bedurfte es Frauen wie Sibylle, die tief unter seiner Oberfläche auf Leidenschaften stießen, von denen er selbst nicht wusste, dass er sie hatte.

Er musste an sie denken. Erika lächelte ihn an. Jochen dachte an Sibylles Lachen, das stets ein kleines Feuerwerk in ihm explodieren ließ.

Aus dem Hausflur kam ein Mann. Er lachte und winkte ihm zu. Es war Simon Winterfeldt. »Herr Dr. Kolmorgen! Haben Sie schon die Mittagsausgabe gelesen?«

»Nein.« Wie hätte ich dazu wohl Zeit?, dachte Jochen.

»Sie haben Gudrun gefunden!«

Jochen war mit einem Schlag hellwach. »Was? Wo?«

»Auf einer Bank am Bahnhof Lichterfelde-Ost. Tot. Selbstmord.«

Jochen durchströmte eine Welle der Erleichterung. Das Kind des Teufels war tot! Jochens Gesicht bekam richtig Farbe. »Das ist wirklich mal eine gute Nachricht. In der Mittagsausgabe, sagen Sie? Was schreiben die über sie?«

»Sie haben sie heute Morgen gefunden. Sie hat sich offenbar selbst verbrannt. Einen Abschiedsbrief soll es auch geben.«

»Verbrannt?« Jochen zuckte zusammen. »Sie muss wirklich verrückt gewesen sein. Ein vernünftiger Mensch nimmt doch Schlaftabletten.«

»Sie hatte wohl einen Hang zum Außergewöhnlichen. Ja, das wollte ich Ihnen nur sagen, wo ich Sie gerade sehe, obwohl ich ja nicht mehr für Sie arbeite. Ich muss jetzt leider los, bin in Eile.«

»Auf Wiedersehen, Herr Winterfeldt. Und vielen Dank für die gute Nachricht.«

Erika hatte dem Gespräch verständnislos zugehört. Bevor sie nachfragen konnte, eilte Dr. Kolmorgen zurück in die Praxis. Sein erster Griff war zum Telefon. Hastig wählte er Sibylles Nummer. Er hatte mehr Glück als Alexander, sie war sofort dran. »Sibylle? Hier ist Jochen. Ich sollte dich doch anrufen, wenn Gudrun gefasst ist. Gute Nachricht, sie ist tot.« Jochen verstummte plötzlich. Er rief eine Mutter an, teilte ihr mit, dass ihre Tochter tot sei, und nannte das eine gute Nachricht. Wie makaber!

»Sie ist tot? Weshalb denn? Ein Unfall? Mord?«

»Selbstmord. Sie hat sich selbst gerichtet. Es hört sich hochtrabend an, aber mir fällt nichts Besseres dazu ein.«

»Oh mein Gott! Das ist wunderbar!«

Diese Formulierung stieß bei Jochen doch auf ein wenig Befremden. Wunderbar war, wie er fand, nicht gerade der passende Ausdruck. Aber er äußerte sich nicht dazu.



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